Liebe Mama,
Briefe ins Nichts zu schicken, ist ein komisches Gefühl. Vielleicht wird das jetzt mein/unser Ritual, ist ja nun schon das zweite Jahr, in dem ich das mache. Ein bisschen für mich, ein bisschen für dich, und vor allem, damit deine Gedenkseite uns hier nicht verlorengeht - das ist immerhin praktisch ein virtueller Friedhof und ich kann dich von überall aus hier besuchen. Ich bin gerade in Mailand, mit der Uni, und schaue viele Kirchen an - ich weiß nicht, ob du gerne hättest, dass ich in dort eine echte Kerze anzünde. Zurzeit möchte ich dich wieder öfter anrufen, um dir etwas zu erzählen - du würdest mir gar nicht glauben, was in den letzten 2 Jahren alles passiert ist... Manchmal bin ich traurig und oder wütend, dass das nicht mehr geht. Auch blöd, nicht zu wissen, wies dir geht, ich hoffe gut. Ob das wohl jemals alles fassbarer wird?
Hab dich lieb,
Deine Sandra
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Ein halbes Leben gelebt zu haben, wäre es gut, das zu wissen? Ich frage mich, ob du was anders gemacht hättest, aber du warst nicht der Typ dafür. Das Anders-Machen können die anderen machen. Ich sitze hier und schreibe die Wörter, die eigentlich dir gehören, die dir aufs Papier gleiten sollen. Weißt du eigentlich, was ich hier tue, wusstest du, was ich tue? Könnte ich, würde ich zeitreisen, dir ein Gedicht unter den Kopfpolster stecken und sehen, ob die Erbse wirkt.